Yona Kim inszeniert Puccinis Turandot als monumentalen Abschied von der italienischen Oper in Zeiten des anbrechenden Faschismus.
Von Andreas Berger
Damen und Herren in Frack und Wasserwelle säumen die Stufen zum Palast, als wär’s ein Ufa-Film. Die fahrbare Zimmerflucht offenbart uns Einblicke in des Kaisers Schlafgemach, aus dem er sich in Nachthemd und ordensverziertem Goldmantel zur Audienz schleppt. Oder in Turandots Kammer, aus der sie in rotem Ornat zur Vollstreckung ihrer Rätselkandidaten steigt. Auch große Oper spielt mit, wenn hier in stilisierten Stummfilmgesten die blutige Revue vom Alleinherrscher und seiner widerwilligen Thronfolgerin aus der chinesischen Märchenwelt in die Ästhetik der 1920er-Jahre übertragen wird. Yona Kim versetzt Giacomo Puccinis letzte Oper an der Hamburgischen Staatsoper in ihrer Entstehungszeit, irgendwo zwischen Der letzte Kaiser und Mussolinis Marsch auf Rom.
Tatsächlich ist man sich bei den eingeblendeten Filmaufnahmen von marschierenden Kindern oder jugendlichen Massen nie so ganz sicher, ob man bei den kommunistischen Rothemden Chinas oder den faschistischen Schwarzhemden Italiens ist. Christian Schmidts monumentales Wohn-Bühnenbild und die Filmkostüme Falk Bauers suggerieren überdies einen Show-Charakter, als spiele man hier noch nach den Riten eines Systems, das längst vom nächstschlimmeren unterminiert ist. Der chinesische Kaiser ist da ebenso Attrappe wie der italienische König, der Mussolinis Faschisten gewähren ließ – die wiederum den krebskranken Puccini zu instrumentalisieren versuchten.
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